EHI-Experten diskutierten die Perspektiven von Logistik, Fulfillment und E-Commerce
Hierzu einige aktuelle Thesen:
Die Technologie treibt den E-Commerce vor sich her
Es wird in der Branche häufig diskutiert, ob die Handelskompetenz oder Technologiekompetenz ausschlaggebend ist für einen Erfolg im Markt. Die Handelskompetenz ist sicher ausschlaggebend, reicht aber nicht. Seit 20 Jahren ist das technologische Enablement dafür ausschlaggebend, dass in einigen Branchen die (digitale) Nähe zum Kunden und das Einkaufsversprechen über den Onlinekanal unschlagbar sind. Alle Jahre wieder ergeben sich für Händler Hürden, die nehmen zu sind, um im Markt zu bleiben. Schnelle Lieferungen, Transaktionsmails, Mobile und Responsive Design sind genauso wichtig wie Same Day Delivery oder für den Kunden relevante Omnichannel-Services. Die Hürden von heute und morgen sind für viele Unternehmen weiterhin die Bewältigung der Datenflut, um durch KI und Predictive Analytics richtige Schlüsse zu ziehen und um Spielarten wie Conversational-Commerce, Personalisierung, Curated Shopping, Influencer Marketing und künftige Möglichkeiten zu bedienen.
Der Erfolg des Geschäftsmodells Picnic lässt sich auch auf andere Branchen übertragen
Immer wieder zeigt sich insbesondere im Lebensmittelhandel, dass es noch Nischen gibt, die zu bespielen durchaus Sinn macht. Picnic, Flaschenpost.de, myEnso oder auch das Optimieren der Last-Mile bietet vielen Playern ein vielversprechendes Geschäftsmodell. Auf reine Distribution von Massengütern ausgelegte Geschäftsmodelle sind starr, komplex und schwer veränderbar. Die mittlerweile allseits bekannten Gamechanger suchen sich Problemzonen und Schwächen der klassischen Handelsmodelle und entwickeln hierfür kundenorientiere Lösungen, ohne immer gleich das Vollsortiment bedienen zu müssen. Häufig zeichnen sich diese Unternehmen durch einen technologischen USP, einen neu erkannten Vorteil in der klassischen Branche sowie die Schnelligkeit aus, mit der diese zu Markte getragen wird.
Lieferung on demand ist – logisch zu Ende gedacht – der Traum vieler Kunden
Rein aus Kundensicht: Warum liefert keiner Lebensmittel on demand nach dem Flaschenpostprinzip? Quasi Best of Picnic & Flaschenpost. Die Sortimentsgröße und -tiefe des Discounters wären doch ideal dafür geeignet. Ca. 40 Prozent des stationären LEH-Umsatzes generieren Discounter, und der Kunde kennt es auswendig.
Der Kunde nimmt es selbst in die Hand, er lenkt immer mehr Prozesse Von der Bestandsabfrage bis hin zur Zustellung übernimmt der Kunde immer mehr Aufgaben, und er verlangt auch nach dieser „Visibility“. Für den Händler wird das alles nicht einfacher. In der Wertschöpfungskette helfen Start-ups bei der Umsetzung von Prozessen für Services, denn der Kunde soll schließlich überrascht werden – und zwar bitte positiv.
Bei den Paketkästen braucht es eine brutal einfache Lösung
Grundsätzlich sind Paketkästen und Packstationen ein guter Ansatz, allerdings sind Paketkästen derzeit unerschwinglich und das Packstationen-Netzwerk und dessen Kapazitäten längst nicht ausreichend, insbesondere in Spitzenzeiten. Bestehende Lösungen sind seit Jahren im Markt, aber werden aufgrund ihres hohen Preises und fehlender Standards nicht angenommen. Auch hier greift Amazon an und verdoppelt innerhalb von einem Jahr sein deutsches Locker-Netzwerk auf rund 400 Stationen, und in den USA wird das Projekt HUB (Hauspaketkasten für Mehrfamilienhäuser) pilotiert. In Deutschland könnte eine einfache offene Paketkastenlösung ohne aufwändige Technologie schneller eine kritische Masse erreichen, doch jeder Anbieter entwickelt offenbar auf Basis seines Business-Modells und nicht aus Kundensicht.
Amazon wird mit seinen eigenen Zustellaktivitäten Erfolg haben und greift damit DHL und andere KEP-Dienstleister an
Der weiße Lieferwagen mit dem dezenten A4-Zettel mit dem Aufdruck „Amazon“ auf dem Armaturenbrett und die Übergabe ohne Unterschrift zeigen den Pragmatismus und die Flexibilität eines „Logistik-Start-ups“, der sich zu Höherem aufschwingt. Hierzu hat Amazon regionale Transportdienstleister, Speditionen und Frachtführer unter Vertrag genommen und mit einem Schlag ein Distributionsnetzwerk in der Fläche aufgebaut. Dem Kunden kann es egal sein: Hauptsache, er erhält seine Ware zuverlässig und im ordnungsgemäßen Zustand. Schlussendlich wird auch dieser Kampf auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen mit der Fragestellung, wie dies weitergehen soll: Paketpreise, Fahrermangel etc.
Und wenn es mit Omnichannel so weitergeht, wird E-Commerce gewinnen?
Schlechte Aussichten für den stationären Handel? Nicht zwangsläufig. Amazon ist zwar groß, schnell, agil, gefährlich und setzt Maßstäbe – dies tun aber längst nicht alle Onlinehändler. Aber woher kommt die Gefahr, und wo liegt die Chance? In Onlineshop und Store wird der Omnichannel-Gedanke mit dem Kunden im Mittelpunkt noch nicht hinreichend umgesetzt. Aktuell ist E-Commerce wesentlich schneller, anpassungsfähiger und kundenorientierter. Hieraus kann Omnichannel lernen und in Sachen Agilität und Kampfgeist aufrüsten.
Kontakt
Lars Hofacker, Leiter Forschungsbereich E-Commerce, Tel.: +49 (0)2 21/5 79 93-22, hofacker@ehi.org
Andreas Kruse, Director Business Development Logistics & Packaging, Tel.: +49 (0)2 21/5 79 93-703, kruse@ehi.org