Die großen E-Commerce-Plattformen wie Amazon, Zalando und Otto bieten anderen Händlern und Herstellern die Möglichkeit Werbung in ihren Onlineshops und Marktplätzen zu platzieren und vermarkten damit geschickt ihre Reichweite und ihre Dateninsights. Was oberflächlich betrachtet naheliegend erscheint, entpuppt sich als komplexes Geschäft, so Torsten Ahlers, CEO, Otto Group Media, im Interview.

Torsten Ahlers erwartet, dass zusehends auch Marken, die nicht auf den Otto-Plattformen verkaufen, zu den Werbekunden zählen werden (credit: Raimar von Wienskowski)
Retail Media trägt bereits einen Gutteil des Amazon-Gewinns. Auch bei Euch läuft es gut. Aber warum wächst der Markt in Deutschland nur langsam?
Ahlers: Fairerweise muss man da auch noch Zalando hinzunehmen. Die Kollegen haben ja stark in Technologie investiert. Aber ja, ich sehe das genauso: Es sind nicht viele Händler, die das Thema in ihrer DNA verankert haben. Um in den Retail Media-Markt einsteigen zu können, brauchen Händler eine gewisse Größe. Wenn man die nicht hat, dann fehlen Daten, dann fehlt Reichweite und dann müssen sie sich eben überlegen, ob man sich für eine Standardlösung entscheidet, oder ob man das Thema selbst in die Hand nimmt.
Was mich wundert ist, dass es noch keinen unabhängigen Vermarkter für Retail Media gibt. Auch Criteo scheint sich immer stärker auf die Rolle als Technologie-Dienstleister zurück zu ziehen.
Warum macht die Otto Group Media das nicht? Fragen Händler danach?
Ahlers: Ja, die kommen in der Tat. Aber wir sind in der glücklichen Situation, dass wir als Gruppe auch verschiedene Spezialisten am Start haben wie myToys, SportScheck oder About You. In Sachen Diversifikation sind wir schon recht gut aufgestellt. Das auszudehnen macht dann Sinn, wenn wir eine einzigartige Technologielösung am Start haben. Das haben wir aber noch nicht. Wir als Konzern haben festgestellt, dass wir innerhalb der Gruppe noch sehr viel Potential haben, das wir erst einmal heben wollen. Langfristig würde ich das aber nicht ausschließen.
Wo steht der deutsche Handel aus Ihrer Sicht in Sachen Retail-Media-Umsetzung?
Ahlers: Die meisten Händler haben bislang zu wenige Daten und zu wenig digitale Touchpoints. Aber häufig ist das auch eine Managementfrage. Wir haben hier bei uns die klare Leitlinie, dass wir die Endkundenbeziehung besser monetarisieren wollen. Das macht langfristig auch unser Handelsgeschäft besser. Und viele andere Händler sind weit davon entfernt, außerhalb ihres klassischen Geschäftsmodells zu denken.
Und auch die scheinbare Analogie zum WKZ (Werbekostenzuschuss) hilft da nicht, denn das ist kurzfristig ausgerichtet. Retail Media ist ein langfristiges Spiel. Das ist mit ein Grund, warum wir mit den GAFAs (Google, Amazon, Facebook, Apple) nicht mithalten können. Die haben Fünfjahrespläne und sind eben auch bereit, über diesen Zeithorizont Investitionsverluste zu tragen.
Bei dem Weg eines potenziellen Kunden – über den Erstkontakt und die Conversion – hin zur Bindung an die eigene Marke (Marketing-Funnel) haben Händler doch zumindest einen sehr relevanten Touchpoint, nämlich den POS. Wächst Retail Media auch in den POS?
Ahlers: Das passiert immer mehr. SportScheck z. B. verlängert sehr viel an den POS. Da kann man Pop-Up Flächen in den Stores belegen oder digitale Schaufenster buchen.
Am POS (auch digital) ist Raum für klassische lower funnel Werbung. Aber kann das Format auch Awareness und Branding?
Ahlers: Wir differenzieren alle drei Werbewirkungskategorien – Awareness, Consideration und Conversion. Da muss man sich sehr genau die Werbemittel anschauen. About You hat begonnen auch sehr großformatige Werbemittel bereit zu stellen. Die werden nach Branding-Kriterien gemessen. Größtenteils werden die auch inhouse produziert.
Im mittleren Trichter, also in der Consideration-Phase, setzen wir Creative Data Displays ein, also Werbemittel, die dynamisch ausgespielt werden – auf Basis von Kaufinteresse und First Party CRM-Daten. Und da gibt es sehr gute Beispiele, was man mit unseren Daten machen kann.
Und im Lower Funnel gibt es klassische Abverkaufskampagnen und Retargeting.
Ich erwarte, dass unsere Lieferanten parallel zu TV-Kampagnen auch bei uns schalten, so wie sie es heute schon bei Google tun, denn sie wollen auch bei den Händlerseiten gefunden werden, um den Werbeeffekt aus der Kampagne überhaupt mitzunehmen. Menschen, die wenig Fernsehen schauen, lassen sich über TV-Kampagnen ohnehin nur sehr schwer erreichen.
Welche Daten, die nur ein Händler hat, wären denn auch im Upper Funnel relevant?
Ahlers: Sind Kinder im Haushalt? Welche Kaufpräferenzen haben die Nutzer? Wenn Mastercard einen roten Schuh im Werbemittel inszeniert, den sich die Kundin vorher angeschaut hat, gewinnt das Creative sofort an Relevanz. Das ist eine ganz neue Kategorie von Upper-Funnel-Kampagnen.
Die Relevanz wird also quasi „von hinten“ aufgebaut?
Ahlers: „Von hinten kommen“ ist das magische Wort. Da steht eine echte Conversion dahinter, also ein klar bekundetes Interesse und kein vermutetes. Das ist ein starker Datenpunkt.
Verstehen die Marken das, oder ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten?
Ahlers: Ich beobachte schon, dass die drei genannten großen Unternehmen in Deutschland sich immer stärker auf endemische Kunden konzentrieren, also die Hersteller bzw. eigenen Lieferanten. Da lassen sich integrierte Kampagnen aufbauen, die besser funktionieren, als wenn ein Automobilhersteller das Instrument zur Leadgenerierung nutzt. Das funktioniert zwar auch sehr gut, aber mit den endemischen Kunden sind die Beziehungen einfach stärker.
Und was die Wahrnehmung am Markt angeht: Das hat sich in den letzten fünf Jahren komplett verändert. Da Amazon so offensiv mit Sponsored Products voran gegangen ist, weiß eigentlich jeder, worum es geht. Die meisten Kunden kommen zu mir und sagen: „So haben wir das auf Amazon gemacht, was können wir bei euch machen“. Inzwischen ist das in fast allen Industrien auf der Tagesordnung angekommen.
Für den Plattformbetreiber ist das ja auch eine Win-Win-Situation, denn wenn sie ein Bestandteil der Kampagnen sind, dann erzeugt das ja direkt auch mehr Traffic und dadurch werden wieder die Daten besser. Das Schwungrad dreht sich schneller. Und aus Sicht der Hersteller ist es besonders spannend, dass sie uns selbst bei Branding-Maßnahmen an den Conversions messen können. Diesen KPI haben ja nur wir.
Langfristig werden Kampagnen von nicht-endemischen Kunden an Bedeutung gewinnen. Aktuell liegt der Fokus aber anders.
Stichwort endemische Kunden: Amazon sorgt für Unruhe durch Werbung für Amazon Basics, selbst wenn nach Marken gesucht wird.
Ahlers: Ja, das habe ich auch schon persönlich erlebt. Google macht das nicht, Criteo auch nicht. Das ist Geschmackssache.
Was ist Ihr persönlicher Lieblings-Case aus dem letzten halben Jahr und warum?

Der handgeschriebene Brief in About You-Paketen war ein enorm aufmerksamkeitsstarkes Werbemittel für Netflix
Ahlers: Wir haben mit BSH (Bosch Siemens Hausgeräte) auf BAUR sehr hoch integrierte, endemische Kampagnen gemacht, die in ihrer gesamten Logik das Potential des Mediums stark nutzen. Und von der kreativen Seite her, hat mir eine Netflix-Kampagne auf About You besonders gut gefallen. In der beworbenen Serie „You“ geht es um einen Buchladenbesitzer, dessen Zuneigung zu einer jungen Autorin sich zu einer mysteriösen Begierde entwickelt. Die Kampagne wurde passend zum Serieninhalt mit einem Brief der Hauptfigur in den Paketen von About You verlängert. Das war das Beste, was ich in den letzten Monaten gesehen habe.
Und ganz aktuell gehen wir mit einer Content-Kampagne eines FMCG-Kunden raus. Ebenso auf About You werden zu Kleidungsstücken passende Pflegeprodukte empfohlen.
Herr Ahlers, vielen Dank für dieses Gespräch.
(Das Interview wurde geführt von Frank Puscher, Moderator beim EHI Marketing Forum Handel 2019)
Warum Retail Media im Onlinehandel nicht mehr wegzudenken ist, erläutert Torsten Ahlers auf dem EHI Marketing Forum Handel am 24. und 25. September 2019 in Köln.