Personalmangel und das „Haar in der Suppe“

Interview mit PR-Expertin Ute Holtmann und Personal-Expertin Ulrike Witt

Ute Holtmann

Ute Holtmann

Leiterin Public Relations

Tel: +49 221 57993-42

holtmann@ehi.org

Ulrike Witt

Ulrike Witt

Projektleiterin Forschungsbereich Personal

Tel: +49 221 57993-994

witt@ehi.org

Interview mit Ulrike Witt (Personal) und Ute Holtmann (PR), EHI, zur Personalsituation und der Dauerkrise im Handel

Welche Rolle spielen Haltung und Verantwortung für die Handelsunternehmen in Deutschland?

 

 

Holtmann: Für fast alle PR-Profis im Handel ist klar: Ein Unternehmen hat gesellschaftliche Verantwortung. Dazu gehört es, sich zu gesellschaftsrelevanten Themen zu positionieren. Die große Mehrheit von 70 Prozent der Handelsunternehmen stellt sich dieser Herausforderung und bezieht Stellung zu kritischen oder polarisierenden Themen, sieht sich aber in einem Dilemma. Sie möchten einerseits eine klare Haltung zeigen, erkennen aber andererseits deutliche Grenzen der Kommunikation.

Denn mit jeder öffentlich geäußerten Meinung macht sich ein Unternehmen angreifbar. Besonders bei komplexen Zusammenhängen finden Medienvertreter:innen oder die Kundschaft häufig das „Haar in der Suppe“. Nicht selten führt das zum Beispiel in den schnellen sozialen Medien zu Shitstorms – die allerdings oft sehr harmlos verlaufen. Trotz dieses Risikos bezieht die große Mehrheit der Händler eindeutig Position – auch bei kritischen, gesellschaftsrelevanten Themen.

Ein schönes Beispiel ist die Covid-Impf-Kampagne, die Ende des letzten Jahres durch die Medien lief. Mit angepassten Unternehmens- oder Markenclaims wollten Unternehmen Menschen zum Impfen motivieren. „Wir lieben Impfen“, titelte Edeka, „Es gibt immer was zu impfen“, erklärte Hornbach und Ritter Sport verpackte seine Schokolade im Impfpass-Design. Gut möglich, dass sie das einige Kund:innen gekostet hat. Aber Haltung zeigt sich eben dort, wo sie sich bewähren muss. Ob ein Unternehmen wirklich eine Haltung hat, erkennt man daran, dass es sie auch gegen Widerstände beibehält. Der Handel hat sich hier sehr eindeutig positioniert.

Für über 80 Prozent der Unternehmen ist es auch mit Blick auf ihr Image eine gute Entscheidung, Stellung zu beziehen. Denn sie wissen: Ihre Kommunikation zu kritischen Themen wirkt sich positiv auf das Image aus. Ein gutes Image als Arbeitgeber stärkt die Kundenloyalität sowie die Zufriedenheit der eigenen Belegschaft und kann im Zweifel potentielle neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von sich überzeugen – bei dem derzeitigen Personalmangel, den meine Kollegin oben beschreibt, ein nicht zu unterschätzender Effekt.

Dieses hohe Gut werden die Handelsunternehmen auch weiterhin pflegen. Die allermeisten werden auch in Zukunft Haltung zeigen, sie werden für Diversität eintreten, sie werden sich gegen Rassismus positionieren oder sich zu komplexen Nachhaltigkeitsthemen positionieren – und sie werden das Risiko, des Pink- oder Greenwashings bezichtigt zu werden, in Kauf nehmen. Denn sie sind sich ihrer Verantwortung bewusst.

Beispiele aus der Impfkampagne #ZusammenGegenCorona

Welche Herausforderungen werden für HR-Verantwortliche des Handels im kommenden Jahr am größten sein?

Witt: Die Pandemie betrifft den Handel auch in diesem Jahr stark, allerdings je nach Branche in unterschiedlicher Weise. Den Mitarbeiter:innen auf der Fläche wird viel abverlangt, sie müssen z.B. immer neue, regional unterschiedliche Regelungen umsetzen oder sich mitten in der Pandemie in Geschäften voller Menschen aufhalten. Die Themen Gesundheitsschutz und eine gut informierende, wertschätzende Kommunikation sind hier besonders wichtig. Die Mitarbeiter:innen in den Fokus zu rücken, beschreibt auch einen allgemeinen Trend. Denn an qualifiziertem Personal mangelt es nicht nur dem Handel. Die aktuelle EHI-Studie „Talents4Retail 2021“ zeigt, dass vor allem die Suche nach Fachkräften für die Filialen immer schwieriger wird, da sich nicht genug geeignete Kandidat:innen bewerben. 80 Prozent der befragten Personalverantwortlichen geben an, dass sie Positionen für Fachkräfte in den Filialen schwer besetzen können. Recruiting Prozesse zu optimieren und zu digitalisieren, ist deshalb eines der Topthemen 2022.

Auch Employer Branding wird an Bedeutung gewinnen. Es unterstützt das Recruiting – schließlich bewirbt man sich lieber bei einem Unternehmen, das glaubwürdig ein gutes Arbeitsumfeld verspricht und interessante Karrierechancen bietet. Außerdem wirkt gutes Employer Branding nach innen und erhöht die Loyalität sowie Leistungsbereitschaft der bereits vorhandenen Mitarbeiter:innen und senkt die Fluktuationsrate. Natürlich nur, wenn das Unternehmen auch hält, was es verspricht.

Ebenfalls auf der Agenda weit oben stehen in diesem Jahr die Themen Personalentwicklung und Talentmanagement. Damit sollen nicht nur die Anpassung an den technologischen Fortschritt oder die Marktsituation gewährleistet und Fehlbesetzungen und Defizite aufgedeckt werden. Auch im Hinblick auf die schwierige Arbeitsmarktsituation ist es wichtig, neue Talente mit entsprechenden Angeboten zu überzeugen und für das Unternehmen zu gewinnen. Bereits vorhandenes Personal gezielt zu schulen und im Unternehmen zu halten, ist ebenso ein relevanter Faktor. Denn nicht selten wird vergeblich versucht, eine Stelle extern zu besetzen, obwohl intern bereits Mitarbeitende mit

dem nötigen Potential vorhanden sind. Dieses Potential zu kennen, kann ein verborgener Schatz sein, den es für die HR zu heben gilt. Bisher werden allerdings nur von 15 Prozent der Unternehmen (laut EHI-Studie „Talents4Retail 2021“) systematisch die Skills und Kenntnisse der eigenen Mitarbeiter:innen erhoben. Die EHI-Studie „Talentdevelopment/-management in Retail 2022“ mit aktuellen Zahlen zum Thema erscheint am 06. April.

Wie wird sich das Thema New Work weiterentwickeln?

Witt: New Work ist ein Prozess, der sich auch im Handel dynamisch entwickeln wird. Wie unsere Umfrage New Work in Retail 2021 zeigt, befinden sich 64 Prozent der Unternehmen bereits in der Transformation zu einer neuen Arbeitswelt. Darunter wird aktuell vor allem die Digitalisierung von Prozessen verstanden, zum Teil aber auch die Flexibilisierung von Arbeitsort und -zeit. Dies betrifft hauptsächlich die Zentralen, in den Filialen mahlen die Mühlen langsamer. Das Interesse an neuen, agileren Arbeitsformen ist grundsätzlich da – die Umsetzung ist aber gerade in der filialisierten Welt des Einzelhandels sehr komplex. Viele starten deshalb auch 2022 zunächst mit kleineren Pilot-Projekten und übertragen diese Maßnahmen im Erfolgsfall dann auf weitere Bereiche. Ein wichtiger Faktor in diesem Zusammenhang ist, dass neue Technologien und Arbeitsmodelle auch neue Fähigkeiten erfordern. Denn mit der Digitalisierung von Prozessen nimmt die Geschwindigkeit von Arbeitsabläufen zu, während die Halbwertzeit von Wissen abnimmt. Mitarbeitende müssen sich flexibler auf Veränderungen einstellen, Programme bedienen können und mit komplexeren Strukturen klarkommen. Re-Skilling und Up-Skilling steht also auch beim Thema New Work weit oben auf der Prioritätenliste.

Ute Holtmann

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Ulrike Witt

Ulrike Witt

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