„Innenstädte brauchen ein soziales Narrativ,“ sagt Andreas Reiter, Geschäftsführer, ZTB Zukunftsbüro Wien, „sie müssen so sein wie eine große Party.“ Aber wie kann man das umsetzen? Wirtschaftlich herausfordernde Zeiten und Inflation verunsichern die Kundschaft und fordern den Handel. Kaufzurückhaltung und Flächenreduzierungen sind die Folge. Hinzu kommen umwelt-politische Forderungen nach verantwortungsbewusstem Konsum oder weniger Verkehr in den Innenstädten. Es herrschen also schwierige Rahmenbedingungen für Stadtentwickler und -planer und für den Handel. Über die vielen Themen, die dies beinhaltet, diskutierten und referierten über 300 Handels- und Immobilien-Fachleute beim Handelsimmobilienkongress des EHI, HDE, GCSP am 25. und 26. 04. in Berlin.
Green Pressure nennt Reiter die ökologischen Forderungen, schließlich verursachen Städte ein Drittel des CO2-Ausstoßes. Aber natürlich müssen Innenstädte trotz Verkehrswende erreichbar bleiben, erklärt der Parlamentarische Staatsekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr (BMDV) Michael Theurer (MdB). Städte wie der Handel haben neben der Nahversorgung auch eine soziale Funktion. Die Frequenz, so Andreas Bartmann, Chef des Outdoor-Spezialisten Globetrotter, sei wieder auf dem Niveau von 2019 oder sogar höher. Sie führe aber nicht zwangsläufig zu vielen Kaufabschlüssen.
Dennoch war von schlechter Stimmung keine Spur. Vielmehr wurden Lösungen diskutiert. So muss der Handel sich noch weiter zum Erlebnis-Shoppen entwickeln, da waren sich die Expert:innen einig. In vielen Fällen ist das bereits gelungen. Ein gutes Beispiel ist das KaDeWe in Berlin. „Wir sind längst kein Department Store mehr, wir sind ein Erlebnishaus mit rund 200 Pop-ups pro Jahr,“ erklärt CEO André Maeder und beweist, dass ein Warenhaus mit eindeutiger Positionierung funktionieren kann.
Karl Wambach von Brookfield Properties sprach im Zusammenhang mit der Wiederbelebung des Shopping Centers The Playce am Potsdamer Platz in Berlin von „Retailment Destination“ und bringt die Verschmelzung von Erlebnis und Shopping auf den Punkt. Das bargeldlose Bezahlen ermögliche außerdem tagesgenaue Umsatzanalysen, so dass einzelne Maßnahmen zeitnah bewertet werden können. Die Innenstädte müssen auch Attraktionen außerhalb des Shoppings bieten, deshalb werden Handelsimmobilien zunehmend gemischt genutzt. „Wohnen über’m Supermarkt“ könnte man ein Vorhaben nennen, das zukünftig häufiger umgesetzt werden soll. Etwas visionärer wird es bei der Zukunftsforscherin Theresa Schleicher vom Zukunftsinstitut Berlin. Sie erklärt die 15-Minuten-Stadt, in der alle wichtigen Erledigungen wie Einkaufen, Ärzte, Schule, Ämter etc. innerhalb einer Viertelstunde erreichbar sein sollen. Außerdem könne man zukünftig Städte nahezu komplett mit nachhaltigen Materialien aus dem 3-D-Drucker entstehen lassen.
Es ging auch um die Mieter-Vermieter-Beziehungen. Da langfristige Planungen, also Vorhersagen zu wirtschaftlicher Profitabilität eines Standortes für mehrere Jahre schwierig geworden sind, sollten beispielsweise kürzere als bisher gewohnte Verträge möglich sein oder das Thema Indexmieten überdacht werden. Das wiederum ist schwierig für Stadtentwickler. Sie können kurzfristige Trends nicht berücksichtigen, denn Städte werden langfristig geplant. Ebenso nicht ganz unkompliziert ist das deutsche Baurecht in diesem Zusammenhang, das Einzelhandelsimmobilien auf 8000 qm beschränke. Einfachere Genehmigungsverfahren war eine weitere Forderung an die Politik, denn es sei besser nicht genutzte Handelsfläche in Wohnraum umzufunktionieren. Das sei nachhaltig, ökologisch sinnvoll und belebe Innenstädte. Ein anderer Tenor lautete: Lieber preiswert vermieten als leer stehen lassen.
Die Branche ist jedenfalls optimistisch, gut mit den veränderten Rahmenbedingungen umgehen zu können. Beim nächsten Branchentreffen – dem HIK am 09. und 10. April 2024 in Berlin – werden viele Ansätze sicherlich bereits auf ihre Praxistauglichkeit getestet worden sein und wir können schon jetzt auf die Erfahrungsberichte gespannt sein.